Handschrift - Schreibschrift
Handschrift - Schreibschrift

Wie können Eltern den Schrifterwerbs- prozess ihres Kindes begleiten?

1. Grundbewegungsmuster früh üben

Schriftprobe aus Frankreich, Mädchen, 6 Jahre, 2. Klasse

Die Schriftprobe dieses 6-jährigen Mädchens ist in der in Frankreich üblichen Lineatur geschrieben: Orientierungslinien in 2mm Abstand, Zeilenabstand 8 mm. (Zum Vergleich: die einfache Lineatur z.B. in College-Blöcken hat in der Regel einen Zeilenabstand von 9 - 10 mm.)

Wie wurde hier Schreiben gelernt?

Schon im Kindergarten wurden Schreibbewegungen und die richtige Stifthaltung eingeübt. Die Ausformung der Buchstaben fällt auf dieser Grundlage leichter.

Frühzeitig die Grundlagen der Schreibmotorik zu fördern, dafür plädiert auch die Bildungsforscherin Stephanie Müller (Artikel vom 14.06.14):

Was können Sie als Eltern tun?

 

1. Sie können Ihr Kind bei der richtigen Stifthaltung unterstützen. Kinder neigen dazu, lange auf kindliche Stifthaltungen wie z.B. Fausthaltungen oder "Pfötchenhaltungen" (mit allen Fingern) zurückzugreifen oder sie sogar beizubehalten. Weder Erzieher(innen) noch Grundschlehrer(innen) haben die Zeit, allen Kindern immer wieder die richtige Stifthaltung zu  zeigen und sie daran zu erinnern. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie man eine Papierschwalbe oder einen Pfeil hält: mit Daumen und Zeigefinger, der Mittelfinger untergreifend. Lassen Sie Ihr Kind den Stift genauso halten, bevor er zum Papier geführt wird, und üben dies immer wieder.

 

2. Sie können mit Ihrem Kind "Schreiben spielen" und ihm typische Schreibbewegungen zeigen. Ihr Kind gewöhnt sich so an das Führen des Stiftes und gewinnt ein Gefühl für die Größe der Schreibbewegungen, die ja später im Millimeterbereich variiert werden müssen. Besonders hilfreich sind Schleifen und Girlanden.

Beispiel für eine Übung (Schrifttraining, M. Schulze Brüning)

2. Druckbuchstaben korrekt schreiben

Vorweg: Inzwischen habe ich so viele Anfragen zur korrekten Schreibweise der Druckbuchstaben erhalten, dass ich dazu ein Anleitungsheft erstellt habe, das Sie auf der Seite "Übungsmaterialien" finden.

 

Druckbuchstaben sind auf den ersten Blick einfach zu schreiben, denn sie bestehen nur aus wenigen Formelementen. Es fällt Kindern nicht schwer, die Form beispielsweise eines o oder eines g nachzuempfinden. Sie tun dies aber auf ihre Art und Weise, ihrer eigenen Formlogik folgend. So erkennen sie einen Kreis und kringeln ihn, häufig unten beginnend. Für ein a oder ein g fügen sie einen weiteren Strich (oben oder unten begonnen) an. d und b hingegen werden oft als Spiegelbild wahrgenommen. Sie werden oben begonnen und in einem einzigen Bogen geschrieben, der wie ein zu hoch begonnenes o, manchmal auch wie ein Tropfen aussieht.

Kinder beginnen Druckbuchstaben an beliebiger Stelle. Häufig starten sie am "losen" Ende, z.B. das p unten. Gerade Linien werden häufig gedoppelt (z.B. bei H, K, T), Kreise gekringelt.

Eine koordinierte, gleichmäßige Schrift kann nicht entstehen, wenn jeder Buchstabe einen anderen Startpunkt und einen anderen Zielpunkt hat. Die Schreibrichtungen der Buchstaben müssen gleichgeschaltet sein. Machen Sie Ihrem Kind deutlich:

 

Schreiben bedeutet nicht Abmalen!

 

Zeigen Sie Ihrem Kind, wie man schreibt. Denn auch hier gilt wieder wie bei der Stifthaltung:

Lehrer(innen) zeigen zwar die korrekte Schreibweise, haben aber nicht die Zeit, Kinder, die immer wieder in alte Muster zurückfallen, intensiv einzeln zu betreuen. Wenn Ihr Kind diese direkte, intensive Begleitung benötigt, können Sie ihm die beste Unterstützung geben. Am effektivsten ist das direkte Vorschreiben des Buchstabens nach dem Prinzip: Vormachen > Nachmachen. Es reicht nämlich meistens nicht, wenn das Kind nur die Form sieht. Es muss die Bewegung sehen.

Falsche Linienführungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Druckschrift, sondern auch auf die Schreibschrift. Gezeigt werden soll dies hier am Beispiel des d, das in der von oben gerollten Form meistens zu den folgenden Formgebungen führt:

Nun sind diese Formen zwar irritierend, aber lesbar. Bei beschleunigtem Schreiben jedoch, d.h. wenn sie gedehnt oder gestaucht werden, verlieren sie sehr schnell ihre lesbare Form.

3. Schreibschrift ausreichend üben

Als Grundvoraussetzung für die Schreibschrift muss die Motorik so geschult sein, dass die Grundbewegungen der Schrift kontrolliert und fließend ausgeführt werden können. Die Ausformung der Einzelbuchstaben kann dann an die Grundlinienführung angekoppelt werden.

Drei Grundmuster reichen aus, um der Schrift Halt zu geben:

Der Zeitpunkt der Einführung der Schreibschrift wird nicht in allen Bundesländern vorgeschrieben. In NRW wird den Schulen auch die Schriftform freigestellt. Am Ende der 4. Klasse sollen die Kinder flüssig in einer verbundenen Schrift schreiben, heißt es in den Richtlinien.

Grundsätzlich stehen drei Schrifttypen zur Auswahl:

- die LA = Lateinische Ausgangsschrift

- die SAS = Schulausgangsschrift (Vereinfachte Form der LA, entwickelt und häufig eingesetzt in den neuen Bundesländern)

- die VA = Vereinfachte Ausgangsschrift

 

 

Schreibschrift wird erst eingeführt, wenn die Druckschrift schon ziemlich gefestigt ist, und manchmal auch sehr spät, z.B. erst im 3. Schuljahr. Es entstehen häufig folgende Probleme:

 

1. Falsche Linienführungen der Druckbuchstaben werden in die Schreibschrift übertragen und erschweren oder deformieren dort die Verbindung der Buchstaben. Deshalb ist es doppelt wichtig, der korrekten Schreibweise der Druckbuchstaben besondere Aufmerksamkeit zu schenken. (siehe Beispiel d oben)

 

2. Die Schreibschrift verlangsamt zunächst den Schreibprozess, denn Motorik und Wahrnehmung müssen umlernen. Dieser Umlernprozess ist natürlich umso schwieriger, je gefestigter und automatisierter die Druckschrift ist. Wird die Schreibschrift nicht ausreichend trainiert, wird sie nicht schneller als die Druckschrift und bringt keine Vorteile. Im Gegenteil, manche Kinder werden sogar verunsichert. Hier noch einmal das Schriftbeispiel von der Seite "Schriftdefizite":

Schrift eines Fünftklässlers

Kontrollieren Sie auch das Schrifttempo Ihres Kindes. Eine gut aussehende, aber "gemalte" Schrift ist als Arbeitsmedium für die Schule nicht geeignet. Eine zu langsame Schrift setzt Kinder spätestens in der weiterführenden Schule unter Druck. Das extrem langsame Schreiben erschwert zudem das Überschauen längerer Sätze oder Textabschnitte.

Wie schnell sollte Ihr Kind schreiben? Das Durchschnittstempo direkt zu Beginn der Klasse 5 liegt bei circa 45 Buchstaben. Nur 4 Monate später liegt es aber bei fast 60 Buchstaben pro Minute. Gerade in diesem Beschleunigungsprozess brauchen die Kinder Unterstützung und jemanden, der auf ihre Schrift achtet. Lehrer(innen) weiterführender Schulen können nicht die Schrift und vor allem die Schriftentwicklung jedes einzelnen Schülers im Blick haben. Verschlechterungen des Schriftbildes fallen nur in Extremfällen auf.

Korrigierend eingreifen

Wenn Ihr Kind die Vereinfachte Ausgangsschrift lernt, können die obigen Koordinationsübungen dem größten Handicap der VA entgegenwirken: der Ausrichtung der Schrift auf die Mittellinie. Die Mittellinie entfällt mit der einfachen Lineatur in der 4. und 5. Klasse; es wird nur noch auf der Schreiblinie geschrieben. Dann beginnen viele Schriften zu "tanzen". Grundbewegungsmuster, die an der Schreiblinie orientiert sind, helfen nicht nur, die Buchstaben "auf Linie" zu bringen. Sie vermitteln auch ein gutes Gefühl für die Größenkontrolle der Buchstaben und ihre gleichmäßige Verbindung. Das Muster Nr. 3 ist wichtig, weil die Verbindung der linksbogigen Buchstaben in der VA zu schwierig ist und immer wieder zu Problemen führt.

 

Versuchen Sie entgegenzuwirken, wenn Sie bemerken, dass die Motorik Ihres Kindes auf die Mittellinie ausgerichtet ist und immer wieder zum Stopp führt.

 

Achten Sie auch auf eine lesbare Form der Einzelbuchstaben!

 

Am problematischsten ist in der VA das "Köpfchen-e". Dazu meint der Erfinder der VA, Heinrich Grünewald, dass das "Köpfchen-e" mit der Verflüssigung der Schrift in ein "Schleifen-e" übergehen könne. Weit gefehlt! Ist das "Köpfchen-e" einmal automatisiert, lässt es sich nur mit größter Mühe umlernen. Gelingt dies aber, wird die Schrift sofort besser und auch schneller, wie auch die Schüler selbst immer wieder bemerken. Das e ist der mit Abstand vorkommenshäufigste Buchstabe und deshalb für die Schrift so entscheidend. Es ist noch keine Schrift an x,y,z gescheitert, wohl aber an a,b,c,d,e. (Vergleiche dazu die Vorkommenshäufigkeit der Buchstaben in Fließtexten bei Wikipedia.)

 

Achten Sie auch auf das r ! An die Druckschriftform des r lässt sich kein Buchstabe anschließen - ein r + n beispielsweise wird zu m.  Das  r  braucht unbedingt den Knick an der Mittellinie, sonst ist es in der verbundenen Schrift nicht eindeutig lesbar. Dieser Buchstabe muss für die Schreibschrift umgelernt werden!

Die häufigsten problematischen Buchstaben im Überblick

Neben Köpfchen-e, Schleifen-s und dem r sind vor allem linksbogige Buchstaben (a,c,d,g, o, q) häufig von Deformationen betroffen. Trainieren Sie mit Ihrem Kind die Trägerwelle Nr. 3, um einen problemlosen Anschluss zu ermöglichen.

u, v, und w stellen oft ein Problem dar, weil der Druckbuchstaben in der Wahrnehmung der Kinder an der Mittellinie enden und die Kinder dort dann den nächsten Buchstaben schon beginnen. Eine Gleichschaltung mit der Druckschrift findet häufig auch beim f statt. Es wird ohne Unterlänge geschrieben und gerät mit dem t formgleich. Beim t wiederum ist der gerade Abstrich oft schwer zu stoppen und wird zur Unterlänge.

Aktuelles

"In Finnland werden Lehrer von der Pflicht entbunden, den Schülern die Schreibschrift beizubringen. In Deutschland ist das längst Realität."

Untertitel in der WELT vom 15.01.15

Aktuelle Erhebung zum Verschwinden der Schreibschrift

Vertreter der Grundschrift propagieren das sogenannte selbsttätige und eigenverant-wortliche Erarbeiten der Handschrift:

"Die Gegner der Grundschrift haben massive Zweifel an dieser Theorie. Sie beurteilen die Fähigkeit oder auch nur das Interesse der Sieben-jährigen, irgendwelche Einzelbuch-staben eigenverantwortlich zu flüssiger Schrift zu verbinden, mit Skepsis: Übt man denn, wenn man nicht muss? Wie genau hat man sich die "Schreibgespräche" und die "ästhetischen Experimente" der Zweitklässler vorzustellen? Überfordert man nicht die Schüler unter dem attraktiven Etikett der "Eigenständigkeit" – jedenfalls all die Kinder, deren Eltern nicht zu Hause mit ihnen arbeiten?" Susanne Gaschke in der WamS vom 15.02.15

Hier ein Einblick in die konkreten Probleme , die von Zweitklässlern zu bewältigen sind:

Die Grundschrift -

Formen und Verbindungsmöglichkeiten

„Kein Handlungsbedarf“

Trotz zunehmender Eltern- und Lehrerklagen über krakelige Handschriften vieler Schüler sieht Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann keinen Handlungsbedarf. Die Landesregierung plane nicht, solche Kompetenzen am Ende der 4. Klasse zu überprüfen, berichtet der Westfälische Anzeiger vom 30.03.16

Viele interessante Beiträge zur aktuellen Debatte um die Schrift-didaktik finden sich auf der Homepage der Allianz für die Handschrift.

Am 03.04.17 erschien eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen in Buchform im

Piper-Verlag:

Wer nicht schreibt,

bleibt dumm.

Warum unsere Kinder

ohne Handschrift das

Denken verlernen.

Eine ganzseitige, handschriftlich verfasste Rezension des Buchs erschien am 02.06.17 in der  FAZ 

Von der Hand in den Kopf

" Die Kombination aus Praxis, Forschung und Reflexion gibt dieser Bestandsaufnahme ein besonderes Gewicht in einem umstrittenen Feld, das weniger durch Empirie als durch Wunschdenken bestimmt wird."  Der Autor Wolfgang Krischke bezeichnet das Buch als engagiertes Plädoyer für eine "didaktische Sanierung" der Handschrift und empfiehlt es als "lohnende Lektüre für Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker". 

 

Eine weitere umfangreiche Rezension findet sich im Rezensionsforum Literaturkritik.de.

Der Autor Johannes Groschupf hat sie in leicht  gekürzter Form auch als Kommentar zum Buch bei Amazon.de eingestellt.

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© Maria-Anna Schulze Brüning