Handschrift - Schreibschrift
Handschrift - Schreibschrift

Besondere Schwierigkeiten beim Schrifterwerb mit der VA

In der Vereinfachten Ausgangsschrift (im Folgenden VA genannt)  sind die Großbuchstaben vereinfacht, indem sie an die Druckbuchstaben angepasst sind. Nun stellen Großbuchstaben aber nur einen kleinen Bruchteil der Buchstaben eines Textes. Die Kleinbuchstaben bestimmen die Schrift und hier ist die VA grundsätzlich anders organisiert als die Lateinische Ausgangsschrift oder die Schulausgangsschrift. Die versprochene Vereinfachung soll in der VA in der gleichbleibenden Verbindung der Buchstaben durch einen Aufstrich/ Verbindungsstrich im Anschluss an jeden Buchstaben bestehen. Die Schrift "hängt" quasi an der Mittellinie (obere Mittellinie im Vierfachliniensystem). Besonders fatal: Diese Linie entfällt als Orientierung, wenn nur noch auf der Schreiblinie geschrieben wird.

Um dieses gravierende Defizit zu beheben, habe ich ein Schrifttraining entwickelt, das die Schrift "umpolt" und von der Schreiblinie aus entwickelt.

Damit die falsche Orientierung von der Mittellinie aus erst gar nicht entsteht, habe ich auch einen entsprechenden Schreibschriftlehr- gang für die Grundschule erstellt. (vgl. Seite Übungsmaterialien/ Schrifttypen......)

Vereinfachte Ausgangsschrift eines Fünstklässlers

Die Verbindungsstriche haben sich verselbständigt und erfüllen ihre Funktion überwiegend nicht - ein Phänomen, das ganz häufig zu beobachten ist. Der Verbindungsstrich wird reflexartig ausgeführt und führt zu einem abgehackten Schreibrhythmus.

Gut zu erkennen sind auch die problematischsten Buchstaben der VA: das "Köpfchen-e", die linksbogigen Buchstaben (c,a,d,g,o) und das häufig deformierte "Schleifen-s". (Das a und das g verraten zudem noch einen fehlerhaften Druckschrifterwerb mit typischen von unten begonnenen Kringeln.)

 

Die VA ist eine "modulare Schrift". Sie besteht aus Modulen und wirkt nur leserlich, wenn diese ganz exakt an den Kopplungsstellen verbunden werden. Das ist im technischen Satz kein Problem. Mit der Hand geschrieben erfordert die VA jedoch eine Präzision, die die meisten Kinder überfordert:

Man sieht an diesem Beispiel, wie nah der Schüler eigentlich an der Vorgabe ist und wie sehr er bemüht ist, alles korrekt "abzubilden".

Die Überwindung der VA-Module und die Erarbeitung einer echten verbundenen Handschrift erfordert meistens quasi ein Neulernen der Handschrift. In diesem konkreten Fall dauerte der Prozess fast ein Jahr:

Welche Buchstaben lassen sich mit dem Verbindungsprinzip der VA nicht mühelos anschließen?

 

Es ist der vorkommenshäufigste Buchstabe, das e.

(Vorkommenshäufigkeit laut Wikipedia 17,4% in Fließtexten.)

Um dem Anschlussprinzip an der Mittellinie treu zu bleiben, wurde das komplizierte "Köpfchen-e" entworfen, das die Schrift verlangsamt und bei einer Beschleunigung meistens deformiert wird. Das "Köpfchen-e" macht die Schrift zu einem Hindernislauf.

 

Es sind die linksbogigen Buchstaben: a, c, d, g, o, q

Der Übergang von dem geraden Verbindungsstrich in die Rundung soll mit einem "Rücksprung" gelöst werden. Sehr viele Kinder beherrschen ihn nicht und finden eigenwillige, unleserliche Lösungen. Hier sind nun zwei weitere Vokale betroffen (a 6,5%, o 2,5% Vorkommenshäuftgkeit) und drei weitere wichtige Buchstaben (d 5%, c und g je 3%). Insgesamt sind es 20%.

 

Es ist das s.

Auch das "Schleifen-s" wurde konstruiert, um einen Anschluss an der Mittellinie zu gewährleisten. Es gerät allzu häufig viel zu groß und wird deformiert, insbesondere in der Kombination "ss". 7,3% aller Buchstaben sind kleine s.

 

Fazit: 44,7% aller Buchstaben eines Textes sind in der VA keineswegs leicht anzuschließen. Im Gegenteil: die Verbindungen werden erschwert.

Noch nicht eingerechnet sind das v und das w, die sehr wohl eine zusätzliche Verbindung brauchen. Diese werden leicht vergessen, wenn das scheinbar so einfache Prinzip, Buchstaben durch Verbindungsstriche zu verknüpfen, umgesetzt wird. Auch an das r lässt sich ohne Umformung kein Buchstabe formklar anschließen, r + n beispielsweise wird zu m (vgl. auch das r in der obigen Schrift).

 

Das folgende Beispiel zeigt die Auswirkungen ungelöster Anschlussprobleme und die Schriftdeformation durch eine typische "Vereinfachung" des komplizierten "Köpfchen-e" durch die sogenannte "R-Lösung" (Kinder, die diese Lösung wählen, sind übrigens sehr kreativ und keineswegs "wahrnehmungsbeeinträchtigt".).  Dieser Schrift sieht man an, dass die Unleserlichkeit nicht durch feinmotorische Probeme verursacht wird, sondern durch Fehlformen vieler Buchstaben.

Dieser Schüler hat keineswegs motorische Störungen!

Noch gravierender als die Anschlussprobleme einzelner Buchstaben ist die Gesamtausrichtung der Schrift auf die Mittellinie. Jeder Buchstabe endet an der Mittellinie und jeder neue Buchstabe beginnt dort. Das Bewegungsziel ist immer die Mittellinie. Ist das Ziel erreicht, wird der nächste Buchstabe organisiert.

Zu erkennen ist dies häufig an einem Stopp an der Mittellinie. Die folgende Abbildung zeigt eine auf saugfähigem Papier geschriebene VA von der Rückseite. Die kleinen Tintenkleckse machen die Haltepunkte sichtbar.

Beispiele und Erklärungen dafür, wie die Gesamtkoordination der VA-Schrift erschwert ist und zu Entgleisungen führt, können Sie in meinem Beitrag "Lupe auf die VA" finden (siehe Link unten auf dieser Seite).

Beispiel einer sich "aufschaukelnden" VA-Schrift. Das Phänomen des Schwankens der Schrift fällt bei einer größeren Anzahl von Schriftproben sofort auf. Mehr als jede zehnte Schrift ist betroffen.

Aktuelles

"In Finnland werden Lehrer von der Pflicht entbunden, den Schülern die Schreibschrift beizubringen. In Deutschland ist das längst Realität."

Untertitel in der WELT vom 15.01.15

Aktuelle Erhebung zum Verschwinden der Schreibschrift

Vertreter der Grundschrift propagieren das sogenannte selbsttätige und eigenverant-wortliche Erarbeiten der Handschrift:

"Die Gegner der Grundschrift haben massive Zweifel an dieser Theorie. Sie beurteilen die Fähigkeit oder auch nur das Interesse der Sieben-jährigen, irgendwelche Einzelbuch-staben eigenverantwortlich zu flüssiger Schrift zu verbinden, mit Skepsis: Übt man denn, wenn man nicht muss? Wie genau hat man sich die "Schreibgespräche" und die "ästhetischen Experimente" der Zweitklässler vorzustellen? Überfordert man nicht die Schüler unter dem attraktiven Etikett der "Eigenständigkeit" – jedenfalls all die Kinder, deren Eltern nicht zu Hause mit ihnen arbeiten?" Susanne Gaschke in der WamS vom 15.02.15

Hier ein Einblick in die konkreten Probleme , die von Zweitklässlern zu bewältigen sind:

Die Grundschrift -

Formen und Verbindungsmöglichkeiten

„Kein Handlungsbedarf“

Trotz zunehmender Eltern- und Lehrerklagen über krakelige Handschriften vieler Schüler sieht Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann keinen Handlungsbedarf. Die Landesregierung plane nicht, solche Kompetenzen am Ende der 4. Klasse zu überprüfen, berichtet der Westfälische Anzeiger vom 30.03.16

Viele interessante Beiträge zur aktuellen Debatte um die Schrift-didaktik finden sich auf der Homepage der Allianz für die Handschrift.

Am 03.04.17 erschien eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen in Buchform im

Piper-Verlag:

Wer nicht schreibt,

bleibt dumm.

Warum unsere Kinder

ohne Handschrift das

Denken verlernen.

Eine ganzseitige, handschriftlich verfasste Rezension des Buchs erschien am 02.06.17 in der  FAZ 

Von der Hand in den Kopf

" Die Kombination aus Praxis, Forschung und Reflexion gibt dieser Bestandsaufnahme ein besonderes Gewicht in einem umstrittenen Feld, das weniger durch Empirie als durch Wunschdenken bestimmt wird."  Der Autor Wolfgang Krischke bezeichnet das Buch als engagiertes Plädoyer für eine "didaktische Sanierung" der Handschrift und empfiehlt es als "lohnende Lektüre für Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker". 

 

Eine weitere umfangreiche Rezension findet sich im Rezensionsforum Literaturkritik.de.

Der Autor Johannes Groschupf hat sie in leicht  gekürzter Form auch als Kommentar zum Buch bei Amazon.de eingestellt.

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© Maria-Anna Schulze Brüning