Die Anzahl der Schüler, die ihre Handschrift nur eingeschränkt im Unterricht nutzen können, hat nach der Beobachtung vieler Unterrichtender an weiterführenden Schulen deutlich zugenommen. In manchen Fällen ist das Schrifthandicap so extrem, dass die gesamte schulische Karriere gefährdet wird.
Wie viele Schüler sind aber tatsächlich von Schriftproblemen betroffen?
Dazu gab es keinerlei Untersuchungen, das Problem war nicht greifbar und deshalb verhallten die Klagen der weiterführenden Schulen. Nach einer anfänglichen Auswertung aller Handschriften der Fünft- und Sechstklässler der Sophie-Scholl-Gesamtschule Hamm (im Jahr 2010) zeigte sich, dass 17% aller Schüler eine Handschrift haben, die als schulisches Arbeitsmedium nicht tauglich ist. Um dieses Ergebnis auf eine breitere Basis zu stellen, habe ich die Untersuchung auf fünf weitere Schulen der Stadt Hamm ausgeweitet und insgesamt 1091 Handschriften aus dem 5. und 6. Jahrgang ausgewertet.
Diese Untersuchung wurde 2011 in der DDS veröffentlicht:
In der Zeitschrift "Schulmagazin 5-10", Ausgabe 1/2020 (Copyright Cornelsen Verlage GmbH) habe ich zwei Beiträge veröffentlicht:
Wie schreibst du denn?
Stiefkind Handschrift
Hier die Downloads:
Beteiligt an der ersten Untersuchung 2010 waren neben der Sophie-Scholl-Gesamtschule zwei Gymnasien, zwei Realschulen und eine Hauptschule der Stadt Hamm.
Das Ergebnis der Untersuchung:Jedes sechste Kind ist betroffen,
ungeachtet des Lernniveaus. Signifikante Unterschiede gab es bei den Schulformen nicht.
Bis auf einige Ausnahmen entsprachen die Schreibschriften dem Schrifttyp Vereinfachte Ausgangsschrift. Der Anteil der Druckschriften war erstaunlich hoch.
Unterrichtende an Grundschulen und Unterrichtende weiterführender Schulen kommen in der Beurteilung der Handschriften der Schüler oft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wie könnte dies begründet sein?
Kinder müssen im Fachunterricht der weiterführenden Schulen wesentlich mehr schreiben als in der Grundschule. In fast jeder Unterrichtsstunde werden Ergebnisse schriftlich festgehalten und es werden mehr Ganztexte verfasst. Die Kinder reagieren auf die erhöhten Anforderungen mit einer Beschleunigung der Schrift - in den ersten vier Monaten des 5. Schuljahres durchschnittlich um fast 30%. Nicht gefestigte Handschriften verschlechtern sich enorm. Auffällig ist, dass insbesondere Handschriften des Typs "Vereinfachte Ausgangschrift" einer Beschleunigung nur schwer standhalten und zu ganz spezifischen Entgleisungen führen.
Eine weitere Erklärung liegt darin, dass Unterrichtende weiterführender Schulen pro Tag sehr viele Schüler sehen (in 5 Unterrichtsstunden circa 150 Schülerinnen und Schüler). Da fällt die große Anzahl all derjenigen, die durch ihre Schrift gehandicapt sind, viel deutlicher ins Auge als in der eher familiären Betreuungssituation der Grundschulen.
Seit einigen Jahren kommen immer mehr Schülerinnen und Schüler in die 5. Klasse meiner Schule ( Sophie-Scholl-Gesamtschule Hamm), die die Schreibschrift überhaupt nicht beherrschen. Im Schuljahr 2014/15 waren es 31 % der Fünftklässler, im Schuljahr 19/20 sind es schon 41,5 %.
Den Schriftauswertungen liegen Schriftproben von circa 150 Fünftklässlern zugrunde (Testzeitpunkt: August 2014). Nicht einbezogen sind die inklusiv beschulten Kinder (mit dem Förderschwerpunkt Lernen und diejenigen mit körperlich- motorischen Defiziten).
14/ 15: 11 Kinder können überhaupt keine Buchstaben verbinden (7,3 %)
19/20: 36 Kinder kennen keine Buchstabenverbindungen (23 %)
14/15: 16 Kinder können Schreibschriftbuchstaben nur fehlerhaft verbinden oder mit einem Schrifttempo von circa 20 Buchstaben pro Minute. (10,6%)
19/20: 28 Kinder schreiben in der Schreibschrift 25 Buchstaben pro Minute oder weniger (18,5 %).
Schreibschrift wird weniger intensiv und häufig gar nicht mehr vermittelt.
Hier Beispiele von "Schreibschriftversuchen":