Handschrift - Schreibschrift
Handschrift - Schreibschrift

Sogenannte Krakelschriften sind stellen nicht nur den Leser vor Probleme. Am gravierendsten sind die Auswirkungen für das betroffene Kind selbst, das in seinem gesamten Lernen beeinträchtigt wird, weil alles mühselig wird - nicht zuletzt auch der Rechtschreiberwerb. "Häufig ist ein Rechtschreibproblem kein Merkproblem, sondern ein Wahrnehmungsproblem," sagt die Sprechpädagogin Ulla Kloss:

Schriftdefizite - typische Beispiele

Wie aber sehen Krakelschriften aus und was genau macht sie unleserlich?

Bei vielen Druckschriften ist die Lesbarkeit erschwert durch mangelnde Gleichmäßigkeit, wie in dem ersten Beispiel zu sehen ist. Die Form der Buchstaben variiert ständig (vgl. z. B. die Varianten des e und des n) und die Orientierung an der Schreiblinie sowie die Einordnung in Mittelband und Oberlängen funktioniert nur unzureichend.

In dem zweiten Beispiel erschweren die teilweise fehlenden Wortabstände die Lesbarkeit.

 

Druckschriften wie Schreibschriften fehlen häufig die Grundelemente einer gut lesbaren Schrift:

 

- Formkontrolle: korrekte, eindeutige, gleichbleibende Schreibweise der Einzelbuchstaben

- Größenkontrolle: Einordnung der Buchstaben in Mittelband, Oberlängen und Unterlängen in konstanter Größe, Schreiblinienorientierung

- Abstandskontrolle: gleichmäßige, nicht zu enge Buchstabenabstände, deutliche Wortabstände

 

Schriftprobe eines Fünftklässlers

Die Grundvoraussetzungen einer gut lesbaren Schrift fehlen auch in dieser Schreibschrift. Die Form der Buchstaben ist variierend und oft uneindeutig (vgl. "Skelett"). Alle Buchstaben werden ohne Unterlängen (vgl. g und p) in einer Einheitsgröße geschrieben und die Buchstabenabstände sind viel zu eng. Die Schrift wirkt chaotisch. Wo liegen aber die Prinzipien dieser Desorientierung? Diese Frage hat mich beschäftigt.

Schriftprobe eines Fünftklässlers

Sehr viele Schriften leiden an Übergröße. Die Zeilen berühren und überschneiden sich. Das Auge wird dadurch beim Lesen permanent irritiert.

Schriftprobe eines Fünftklässlers

Auffallend vielen Schriften fehlt die Schreiblinienorientierung. Typisch ist ein Abrutschen der Schrift unter die Schreiblinie.

Häufig findet man aber auch Schriften, die die Schreiblinie nie berühren und zwischen den Zeilen zu "fliegen" scheinen.

Manche Schriften sind weder der Druckschrift noch der Schreibschrift zuzuordnen. Zu erkennen ist hier eine tiefe Verunsicherung über die korrekte Schreibweise, vgl. z.B.  das e in gestorben oder das s in Insektenlarven. Eine nur "vorgestellte", nicht ausreichend automatisierte Schreibschrift kann erheblichen Schaden anrichten - nicht nur in der Handschrift.

Schrifttempo

Viele Kinder, die verkrampft oder unleserlich schreiben, haben ein verlangsamtes Schrifttempo und sind dadurch zusätzlich beeinträchtigt. Aber auch unauffällige Schriften sind manchmal mit großer Mühe geschrieben. Die Schreibmotorik ist nicht entwickelt oder ungünstige Stifthaltungen oder Linienführungen bremsen die Schrift.

Haben Kinder in der Grundschule "noch alle Zeit der Welt" und können ihrem individuellen Rhythmus folgen, so sieht dies im Fachunterricht der weiterführenden Schulen schon anders aus. Für Klassenarbeiten, so auch für Aufsätze, steht in der Regel eine Schulstunde zur Verfügung. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Kind circa 30 Buchstaben pro Minute schreibt oder 80. Und dabei geht es nicht nur um die Quantität des Geschriebenen. Eine mühsame Schrift absorbiert Kraft und Energie, die eigentlich für die Inhalte dringend benötigt wird. Das Kind muss sich auf seine Schrift konzentrieren und hat den Blick nicht frei für das, was es schreiben will. Ein gutes Werkzeug spürt man nicht, es funktioniert einfach und man kann sich auf seine Arbeit konzentrieren. Vielen Kindern steht das schulische "Handwerkszeug", die Handschrift, nicht selbstverständlich zur Verfügung.

Bei welchem Schrifttempo kann man von einer Beeinträchtigung sprechen? Das durchschnittliche Schrifttempo zu Beginn der 5. Klasse liegt bei circa 45 Buchstaben pro Minute. Kinder, die nur circa 30 Buchstaben pro Minute schreiben, geraten zeitlich sehr oft unter Druck. Zudem können sie immer nur sehr kleine Textabschnitte überschauen, wenn in einer Minute gerade mal ein Hauptsatz geschrieben werden kann. Sie benötigen dringend ein gezieltes Training.

Aktuelles

"In Finnland werden Lehrer von der Pflicht entbunden, den Schülern die Schreibschrift beizubringen. In Deutschland ist das längst Realität."

Untertitel in der WELT vom 15.01.15

Aktuelle Erhebung zum Verschwinden der Schreibschrift

Vertreter der Grundschrift propagieren das sogenannte selbsttätige und eigenverant-wortliche Erarbeiten der Handschrift:

"Die Gegner der Grundschrift haben massive Zweifel an dieser Theorie. Sie beurteilen die Fähigkeit oder auch nur das Interesse der Sieben-jährigen, irgendwelche Einzelbuch-staben eigenverantwortlich zu flüssiger Schrift zu verbinden, mit Skepsis: Übt man denn, wenn man nicht muss? Wie genau hat man sich die "Schreibgespräche" und die "ästhetischen Experimente" der Zweitklässler vorzustellen? Überfordert man nicht die Schüler unter dem attraktiven Etikett der "Eigenständigkeit" – jedenfalls all die Kinder, deren Eltern nicht zu Hause mit ihnen arbeiten?" Susanne Gaschke in der WamS vom 15.02.15

Hier ein Einblick in die konkreten Probleme , die von Zweitklässlern zu bewältigen sind:

Die Grundschrift -

Formen und Verbindungsmöglichkeiten

„Kein Handlungsbedarf“

Trotz zunehmender Eltern- und Lehrerklagen über krakelige Handschriften vieler Schüler sieht Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann keinen Handlungsbedarf. Die Landesregierung plane nicht, solche Kompetenzen am Ende der 4. Klasse zu überprüfen, berichtet der Westfälische Anzeiger vom 30.03.16

Viele interessante Beiträge zur aktuellen Debatte um die Schrift-didaktik finden sich auf der Homepage der Allianz für die Handschrift.

Am 03.04.17 erschien eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen in Buchform im

Piper-Verlag:

Wer nicht schreibt,

bleibt dumm.

Warum unsere Kinder

ohne Handschrift das

Denken verlernen.

Eine ganzseitige, handschriftlich verfasste Rezension des Buchs erschien am 02.06.17 in der  FAZ 

Von der Hand in den Kopf

" Die Kombination aus Praxis, Forschung und Reflexion gibt dieser Bestandsaufnahme ein besonderes Gewicht in einem umstrittenen Feld, das weniger durch Empirie als durch Wunschdenken bestimmt wird."  Der Autor Wolfgang Krischke bezeichnet das Buch als engagiertes Plädoyer für eine "didaktische Sanierung" der Handschrift und empfiehlt es als "lohnende Lektüre für Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker". 

 

Eine weitere umfangreiche Rezension findet sich im Rezensionsforum Literaturkritik.de.

Der Autor Johannes Groschupf hat sie in leicht  gekürzter Form auch als Kommentar zum Buch bei Amazon.de eingestellt.

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© Maria-Anna Schulze Brüning